Wie produktiv können Anlagen sein? Fakt ist: Fast alle Produktionsanlagen werden nicht optimal betrieben, und wertvolle Ressourcen gehen verloren. Mittels digitaler Strategien, beispielsweise basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) und Internet of Things (IoT), lassen sich Potenziale in der Produktion heben. Beides sind Schlüsseltechnologien, die zukünftig aus unseren Fabrikhallen und Maschinenparks nicht mehr wegzudenken sein werden. Anders als Sensoren, Cloud-Technologie und 5G, die künftig ein enges, aber flexibles Netz über die Fertigungsanlagen ausbreiten werden, bleibt der Maschinenpark selbst jedoch das, was er schon immer war: unbeweglich und größtenteils unverändert. Wobei dies nicht „veraltet“ meint. In vielen Betrieben laufen Maschinen seit 30 Jahren oder länger reibungslos. Die entscheidende Frage ist, wie aus dem bestehenden Equipment das Maximum herausgeholt werden kann, um existierende Ressourcen bestmöglich zu nutzen.
Gesamtanlageneffektivität (OEE): Optimale Maschinenführung durch Echtzeit-Analyse.
Wie sieht also die Fertigungsanlage der Zukunft aus, und wie lässt sich deren Effektivität messen und steigern? Genau wie digitale Komponenten müssen auch die verschiedenen Maschinen unterschiedlicher Produktionslinien, Hersteller und Baujahre eng aufeinander abgestimmt werden. Nur so kann eine hoch optimierte Fertigungsanlage entstehen, welche durch die lückenlose Kommunikation zwischen den Maschinen und digitalen Technologien zu einer komplexen Einheit werden kann. Alle Komponenten aufeinander abzustimmen und so die entwickelten Möglichkeiten auszuschöpfen, ist eine der großen Herausforderungen jeder modernen Produktion. Kurz gesagt, bietet sich dabei viel Potenzial für Optimierungen. Ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Indikator ist dabei die Gesamtanlageneffektivität, kurz OEE (Overall Equipment Effectiveness), da sie die Betriebszeit der Anlagen im Verhältnis zur Gesamtproduktionszeit beschreibt. Sie setzt damit den Leistungs-, Nutzungs- und Qualitätsgrad einer Anlage in ein leicht verständliches Verhältnis.
Die OEE ist heute ein zentrales Konzept für die Industrie 4.0. Sie ist eine wichtige Kennzahl, welche als Basis zur kontinuierlichen Verbesserung und Anpassung der Produktion dient. War das Ermitteln der Gesamtanlageneffektivität in der Vergangenheit manuell höchst aufwändig und fehleranfällig, kann die OEE im Zuge der Digitalisierung präziser und automatisiert ermittelt werden. So lassen sich die Ursachen von Produktionsverlusten einfacher zurückverfolgen und adressieren. Immer mehr Maschinen werden mit immer mehr Sensoren ausgestattet, wodurch sich ein besseres Bild des Prozessablaufes gewinnen lässt. Zugleich lassen sich durch das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen viele Zusammenhänge erschließen, die dabei helfen, Effektivität in die Produktion zu bekommen und die Abstimmung zwischen den einzelnen Maschinen zu optimieren – sei es beim Koordinieren unterschiedlicher Geschwindigkeiten zwischen den Maschinen einer Produktionslinie oder der Reduktion von ungeplanten Ausfallzeiten – die Messlatte ist die Gesamtanlageneffektivität, welche es anzuheben gilt.
Optimale Maschinenführung durch Echtzeit-Analyse
Dieses Ziel verfolgte auch das Körber-Geschäftsfeld Digital bei der Gründung des Unternehmens FactoryPal. Dieses wandte sich zu Beginn an die Tissue-Industrie, da der Technologiekonzern Körber hier selbst ein eigenes Geschäftsfeld mit besonderem Schwerpunkt im Bereich Hygienepapier hat. So konnte man auf branchenspezifisches Detailwissen zur Maschinensteuerung und den Produktionsmaschinen zurückgreifen. Inzwischen richtet sich FactoryPal industrie-agnostisch an Fertigungsunternehmen in der Prozessindustrie und hat sich erfolgreich als KI-getriebene, maschinen-agnostische SaaS-Lösung positioniert. Das heißt in der Praxis: Die entwickelte Software verarbeitet die Produktionsdaten und empfiehlt den Maschinenführern in Echtzeit optimale Maschineneinstellungen über eine App für das Smartphone. Die Daten werden mit bis zu 600 Datenpunkten pro Sekunde über beim Kunden installierte IoT-Gateways gesammelt. Anschließend werden diese in die Cloud zur Verarbeitung übertragen.
Die Lösung wurde bereits vielfach erfolgreich in verschiedenen Industrien angewandt, so auch bei einem Use-Case mit einem führenden Hersteller von Hygienepapieren und Recyclingfasern. Die gesammelten Daten zeigten, wie stark bereits kleine, ungeplante Ausfallzeiten in der Fertigung zu deutlichen OEE-Rückgängen führen können. Für Fabriken ist es eine Herausforderung, die Gründe für die Ausfälle detailliert zu erfassen und zu analysieren, um dann schnell und mit den passenden Maßnahmen darauf zu reagieren und mögliche Auswirkungen zu minimieren. Gelingen kann das nur, wenn man proaktives Handeln ermöglicht und die Einflussfaktoren erkennt und adressiert, bevor es zu einem Ausfall kommt. FactoryPal wendet dafür verschiedene ML-Modelle (Maschinelles Lernen) an. Mit Hilfe dieser Modelle wird ein datengetriebenes digitales Abbild der Produktionslinie in der Cloud erstellt - ein Digital Twin. Dadurch ist es möglich, die zukünftige OEE vorherzusagen, und Parameteroptimierungen vorzunehmen, welche zu einer höheren OEE führen. Die FactoryPal Lösung reagiert damit proaktiv auf die Gegebenheiten in der Produktion, im Gegensatz zu anderen Lösungen, die eher reaktiv agieren und weniger auf Echtzeitdaten basieren. Dies stellt einen signifikanten Fortschritt da, welcher nur durch den Einsatz großer Datenmengen möglich ist.
Diese Möglichkeit, digital in die Zukunft zu sehen, erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Kunden. Die Ausgangssituationen in den Fabrikhallen sind oft komplex, was eine hohe Anzahl von Parametern bedeutet, die es zu verarbeiten und zu analysieren gilt. In besagtem Use-Case sollten z.B. die Daten von 30 Produktionslinien in neun europäischen Tissue-Fabriken in verwertbare Ergebnisse umgewandelt werden, um durch das Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Software die OEE zu erhöhen. Fehleinschätzungen und Inkonsistenzen können in so einer Situation das Vertrauen in die erfassten Informationen schmälern. Um mögliche Fehleinschätzungen daher von Beginn an zu verhindern, baute FactoryPal die komplette Wertschöpfungskette inklusive der Künstlichen Intelligenz (KI) selbst mit einem Team von Digital-Spezialisten. Selbst das beste ML-Modell ist zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht korrekt angewendet wird. Daher wurde bewusst auf Co-Creation gesetzt, um von Anfang an so eng als möglich an den Bedürfnissen des Kunden zu bleiben.
Maschinendaten ermöglichen den Blick in die Zukunft
Möchte man die Gesamtanlageneffektivität mittels Software, KI und dem Faktor Mensch erhöhen, braucht es deutlich mehr als nur Maschinendaten. Was als „enge Zusammenarbeit mit Kunden“ beschrieben ist, bedeutet in der Praxis eine Verflechtung verschiedenster IT-Systeme und den Datenaustausch über entsprechende Schnittstellen. Um Maschinenführen zu ermöglichen, nach vorne zu blicken und mögliche Ausfälle vorauszusehen, kombiniert die Software Daten aus verschiedenen Quellen: Maschinendaten, die von den SPSen (Speicherprogrammierbare Steuerungen) in der Fertigung ausgelesen werden, Daten aus anderen Kundensystemen wie ERP und MES (zB. Produktspezifikationen und Arbeitsaufträge) sowie Eingaben der Maschinenbediener (z.B. Grund für die Ablehnung einer Maschinenparameterempfehlung).
Nach dem Einlesen und Übertragen der Maschinendaten werden diese in der Cloud von der generierten KI-Pipeline ausgewertet. Algorithmen errechnen daraufhin Vorschläge zur Optimierung und senden diese an den zuständigen Maschinenführer. Da die Anwendung aber sowohl am PC oder Smartphone als auch auf dem Tablet läuft, spielt das Endgerät beim Versenden der Optimierungs-Anweisungen nur eine untergeordnete Rolle. In den Fabriken des besagten Hygienepapierherstellers konnten mittels KI-generierten Empfehlungen von FactoryPal deutliche OEE-Steigerungen erzielt werden. Hinzu kommt, dass sich die Maschinenstillstandszeit deutlich reduzierte. Dieses Beispiel zeigt auf, dass die OEE für ein Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der Produktion und Steigerung der Produktivität leisten kann. Dies ist möglich, indem Maschinenausfälle gezielt analysiert und entsprechende proaktive Maßnahmen abgeleitet werden können.
Es wird deutlich, dass es entscheidend ist, sich mit OEE als ausschlaggebendem Indikator für das Shopfloor Management auseinanderzusetzen. Den multiplexen Maschinenpark künftig digital zu orchestrieren, darf nicht nur bedeuten, alle Maschinen in der Fertigung zu vernetzen. Erst durch die richtige Analyse und Verwertung der Maschinendaten wird eine bessere Kommunikation zwischen den einzelnen Maschinen ermöglicht. Auf dieser Basis kann dem Maschinenführer ein leistungsfähiges Prognoseinstrument an die Hand gegeben werden. So wird es möglich ein harmonisiertes Maschinenensemble mit deutlich erhöhter Gesamtanlageneffektivität zu betreiben.