P3 5-6/2022 de

Das Wort zur Lage

„Bei besonders betroffenen Unternehmen liegen die Nerven blank!“

Brancheninterview

Analysiert man die derzeitige Lage in der deutschen Druck- und Medienbranche und betrachtet die Verzahnung der diversen Problemfelder, stellen sich unweigerlich Fragen: Wie soll die Druckindustrie über den Winter kommen? Ist die Versorgung mit Druckerzeugnissen gewährleistet? Muss man schon dankbar sein, wenn es nur zu vereinzelten Kollateralschäden kommt? Man kann diese Fragen zweckoptimistisch beantworten oder mit ausweichenden Phrasen. Oder man redet Klartext. Wir führten ein sehr offenes und aufschlussreiches Gespräch mit Dr. Paul Albert Deimel, dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Druck und Medien in Deutschland.

Herr Dr. Deimel, die Liste der Problemfelder in der Druck- und Medienbranche war schon kürzer. Energiekrise ungewissen Ausmaßes, Krieg in der Ukraine, Logistik- und Beschaffungsprobleme, kaum mehr tragbare Preiserhöhungen auf Zulieferseite, Fachkräftemangel, Planungs- und damit Investitionsunsicherheit: Ganz allgemein könnte die Geschäftslage wohl deutlich besser sein. Wie erleben Sie aktuell die Stimmung in der Branche?

Die Stimmung in den Unternehmen ist unterschiedlich, aber angesichts der aktuellen Entwicklung wenig optimistisch bis zu in Einzelfällen verzweifelt. Manche haben in Zeiten der Knappheit Papiervorräte angelegt, andere haben davon zu viel eingekauft, viele treffen die enormen Preiserhöhungen aufgrund der jetzt im Vordergrund stehenden Energiepreisverteuerungen mit Wucht. Apropos Energie: Da herrscht auch in unserer Industrie oft die nackte Angst. Vertragserfüllung wird ungewiss, wenn der Anbieter wegbricht. Im Einzelfall hängt es natürlich auch von der Art des Geschäfts (gas- oder stromintensiv) und vor allem von den Vertragslaufzeiten ab. Das dicke Ende kommt also erst noch. Auch erreichen uns in letzter Zeit Meldungen von Unternehmen, deren Versorger ihnen die Gasverträge meinen kündigen zu dürfen und somit die Unternehmen den Schwankungen der Spotmärkte aussetzen oder zu wesentlich schlechteren Konditionen versorgen. Preissteigerungen um den Faktor 5 bis 20 können nicht an Kunden weitergereicht werden. Dies entzieht den Druckereien die Geschäftsgrundlage und bedroht sie in ihrer Existenz.

Ergreift die Politik aus Ihrer Sicht die richtigen Maßnahmen, oder fühlt man sich auch ein bisschen im Regen stehen gelassen?

Ganz klar, bei den besonders betroffenen Unternehmen liegen die Nerven blank. Am Anfang des Ukrainekrieges verlangte man von der Industrie, den Gürtel enger zu schnallen, Gas und Strom einzusparen, wo es nur geht, um Deutschland unabhängig von russischen Energieimporten zu machen. Im Gegenzug werde man die Industrie vor dem Schlimmsten bewahren, hieß es. Wir haben unseren Part bereits erfüllt, laut Angaben der Bundesnetzagentur sank der industrielle Gasverbrauch in den letzten zwei Monaten im Mittel um rund 21,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Angemessene Ausgleichsmaßnahmen lassen jedoch bisher auf sich warten. Die Förderprogramme des Ukraineschutzschirms gehen bisher größtenteils an der Druckbranche vorbei oder sind völlig unattraktiv. Es war äußerst ungeschickt, sie an der sogenannten KUEBLL-Liste orientieren zu wollen. Da wäre nicht nur die Druckindustrie völlig draußen. Das ist von der Politik erkannt worden. Interessant ist, dass in nahezu allen Gesprächen mit Betrieben der Tenor ist: Wir brauchen Preisbremsen und eine Deckelung und weniger bürokratische Hilfen á la Corona. Wir haben dem Wirtschaftsminister direkt und im Schulterschluss mit anderen Wirtschaftsverbänden zu verstehen gegeben, dass unsere Betriebe Preiserhöhungen kaum weitergeben können. Unsere Unternehmen brauchen einen planbaren Energiemarkt und dies zeitnah.

Zuletzt gab es vom bvdm klare Worte und Kritik in Richtung der Papierindustrie, die aus dem einen Fenster laufend „der Situation geschuldete” Preiserhöhungen ausruft, während aus dem Nebenfenster Rekordumsätze und -gewinne bekanntgegeben werden. Gleichzeitig steht die Rentabilität der Druckindustrie auf dem Prüfstand. Eine „Schieflage in der Kommunikation“ orteten Sie zuletzt und forderten: „Vereinbarungen verdienen Gültigkeit!“ Das klingt nach einem gravierenden Vertrauensverlust, oder?

Wir sind mit der Papierindustrie und dem Großhandel in einem sehr engen und guten Austausch. So können wir unseren Mitgliedern Informationen weitergeben und bei den Lieferanten Verständnis für die Probleme unserer Betriebe herbeiführen. Zweimal waren die hochrangigsten Vertreter der Verbände Die Papierindustrie und des Deutschen Papiergroßhandels bereit, sich den Fragen – und auch der Kritik – unsere Unternehmer zu stellen. Über 300 Teilnehmer haben davon jeweils Gebrauch gemacht. Es war bemerkenswert, dass beide Lieferantenkanäle eingeräumt haben, Verträge nicht immer eingehalten zu haben. Auf ein solches ehrliches Eingeständnis kann dann hoffentlich neues Vertrauen gründen. Leider kam es nach unseren Informationen in diesem Sommer wieder vereinzelt zu Fehlverhalten. Grundsätzlich sind jedoch alle daran interessiert, dass die Zusammenarbeit gut ist: Wir sollten die gemeinsamen Interessen nicht aus dem Auge verlieren!

Es steht zu befürchten, dass die Situation sich in den nächsten Monaten weiter zuspitzen könnte. Über welche Werkzeuge verfügt der bvdm auf nationaler und ggf. internationaler Ebene, um konstruktiv auf die Situation einwirken zu können?

Sie können davon ausgehen, dass der Bundesverband seit Anfang der Corona-Pandemie im Februar 2020 unter Dauerdruck arbeitet. Schon damals haben wir der Politik auf allen Ebenen „eingeheizt“. Da ging es einerseits darum, dass die Betriebe weiterarbeiten durften, Stichwort Systemrelevanz, andererseits darum, dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben so gut wie möglich aufrecht erhalten bleiben sollte. Denn die Druck- und Medienwirtschaft hängt ja in weiten Teilen von den anderen Branchen ab! Es geht bei unserer Lobbyarbeit ja nicht nur um die Druckindustrie im engeren Sinne, sondern um die Rahmenbedingungen, die Märkte, die Zulieferer, die Lieferketten und das ist jetzt genauso. Hatten wir noch Anfang des Jahres gehofft, dass eine wirtschaftliche Erholung einsetzen würde, sieht es seit dem Krieg in der Ukraine für unsere Betriebe dramatisch aus. Kosten explodieren, die Nachfrage geht zurück und Erlöse schwinden. Allein, aber auch im engen Schulterschluss mit besonders großen Wirtschaftsverbänden, wie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, stehen wir im Austausch mit der Politik. Wir präsentieren unsere Forderungen, liefern Zahlen, Daten und Fakten, zeigen wirtschaftliche Zusammenhänge auf, beraten und unterstützen damit alle Ebenen bei der Erarbeitung von Wegen aus der Krise.

Ransomware-Attacken im Speziellen und Cyberkriminalität im Allgemeinen haben in den letzten Monaten und Jahren stetig zugenommen und sind – nicht zuletzt aufgrund des Schadensausmaßes – zu einem entscheidenden Thema auf Geschäftsführungs- und Managementebene geworden. Wie ist die deutsche Druck- und Medienbranche in Ihren Augen gerüstet, um damit umzugehen. Sehen Sie Nachholbedarf im Vergleich mit anderen Industriezweigen?

Viele Druck- und Medienbetriebe verarbeiten Fremddaten, deren Übernahme und Verarbeitung Risiken mit sich bringen, zumal die Methoden der Angreifer immer perfider werden. Daher ist unsere Branche mit Sicherheit deutlich besser aufgestellt als Industriezweige, die weniger mit Daten zu tun haben. Aber grundsätzlich gilt natürlich: Das Einfallstor für Cyberattacken ist meistens der Faktor Mensch. Ein Unternehmensnetzwerk kann technisch noch so gut gesichert sein – wenn ein Mitarbeiter seine Zugangsdaten versehentlich auf einer Phishing-Website eingibt, stehen dem Angreifer die Tore offen. Neben der technischen Absicherung des Unternehmensnetzwerkes liegt der Schlüssel zur Cybersicherheit folglich darin, sich der Gefahren bewusst zu sein, sich über aktuelle Methoden der Cyberkriminellen auf dem Laufenden zu halten und die Mitarbeiter entsprechend zu sensibilisieren und zu schulen. Druck- und Medienunternehmen erhalten dabei unsere Unterstützung, beispielsweise durch den bvdm-Leitfaden „Schutz vor Cyberangriffen“ oder zuletzt am 19. September durch unsere infoKompakt-Veranstaltung „Cyberattacke – und was wir daraus lernen sollten!“

Abschließend gefragt: Ist die Versorgung mit Druckerzeugnissen über die nächsten Monate aus Ihrer Sicht gewährleistet?

Tritt im Winter ein ernsthafter Gas- oder Strommangel ein, ist mit einer Unterversorgung mit grafischen Papieren und Produktionsausfällen zu rechnen, die die Versorgungslage des Landes mit Druckprodukten gefährdet. Zudem laufen bei vielen Unternehmen die Versorgerverträge für Gas und Strom Ende des Jahres aus. Entspannt sich die Preislage an den Energiemärkten bis dahin nicht, kann aufgrund der Existenzgefährdung von Druckereien auch deshalb mit direkten Auswirkungen gerechnet werden.

Eine weitere Frage lautet: Sind die Kunden der Drucker – Verlage, Handel, Zeitungsleser, Bücherwürmer – bereit und in der Lage, höhere Preise zu zahlen? Wie gehen Hersteller von Produkten, die mit Etiketten versehen werden müssen, mit steigenden Preisen dafür um? Wie sieht die Preispolitik der Produzenten und Einkäufer von Faltschachteln oder Verpackungsmaterial aus? Sicher ist, dass es ohne Druckerzeugnisse nicht geht. Aber wie die Betriebe und ihre Kunden die Lage bewältigen, hängt eben von der Politik und auch von den Märkten unserer Betriebe ab – sowie von ihrem individuellen unternehmerischen Geschick. Auch in diesen Fragen stehen die Verbände ihren Mitgliedern natürlich eng zur Seite.

Herr Dr. Deimel, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

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